von Jonas Bisschop
Storytelling, das
– Nomen, neutrum
Anglizismus, zu Deutsch etwa: „Geschichten erzählen“
Storytelling – dieses Buzzword passt in keinen anderen Monat so schön wie in den Dezember. Schließlich ist der ganze Monat aufgebaut wie eine Geschichte: Beginn und Einleitung durch den 1. Advent, gefolgt von drei weiteren und sich aufbauender Spannung, die ihren Höhepunkt im Weihnachtsabend findet. So gesehen, kann man das 4. bis 5. Reste-Raclette zwischen den Feiertagen auch als retardierendes Moment auffassen, das den Spannungsabfall verlangsamt. Genauso, wie es alles andere zwischen dem 24. und dem 31. verlangsamt. Und zum Schluss ein Feuerwerk, pünktlich zum Ende des Jahres und der dezemberlichen Geschichte. Dass Storytelling in den Dezember gehört, finden scheinbar nicht nur wir so:
Es ist #Schwäbisch Sonntag in Hohenheim! Wieder haben wir für euch ein #PRBuzzword übersetzt. Wer errät’s? #Priho1 #PR #Buzzword #PublicRelations pic.twitter.com/bYGIEcMBM1
— PRIHO e.V. (@Prihoev) 10. Dezember 2017
Der Stoff, aus dem die Leute sind
Zurück zum Eigentlichen: Die Kunst, Informationen, Emotionen und Botschaften in narrativer Form zu vermitteln ist eigentlich ein sehr altes Konzept in neuer Verpackung. Der Champion für alte Geschichten, von denen man heute noch weiß, ist der Gilgamesch-Epos: mit mehr als 4000 Jahren auf dem Buckel, zeigt er als eine der ältesten schriftlich festgehaltenen Geschichten, dass Stories schon ziemlich lange getellt werden. Wie sich zeigt, ist Geschichtenerzähler ein Beruf mit Tradition und Zukunft. Dem Konzept Storytelling wurde sogar eine eigene Veranstaltung in unserem Studium gewidmet. Unser Dozent Jens Cornelißen machte uns durch dieses Zitat damals mit dem Storytelling bekannt:
„Einige Menschen glauben, wir bestehen aus Fleisch und Blut und Knochen. Wissenschaftler sagen wir bestehen aus Atomen. Aber ich glaube, wir bestehen aus Geschichten!“ – Ruth Stotter
Stories und Unternehmenskommunikation – ein Drama in fünf Akten
Inzwischen entdecken also auch Manager, PRler, Marketeers und Contentzüchter zunehmend, dass sich die Erzählkunst auch für die Unternehmensführung beziehungsweise Innen- und Außenkommunikation eignen könnte. Storytelling ist einer der wichtigsten Kommunikationstrends überhaupt – sagt zumindest die dpa-Tochter news.aktuell, die dem Thema ein eigenes Weißbuch widmen.
Die „Macht der Geschichten“ wird häufig dadurch begründet, dass Menschen sich schon seit Urzeiten Geschichten erzählen – sozusagen als Symptom der Kulturentwicklung. Storytelling als Trend ist allerdings nicht ganz unproblematisch. Abgesehen davon, dass plötzliche anthropologische Erklärungen („Weil wir [= Menschen] haben das schon immer gemacht“) etwas derangiert im Kontext des hip-denglischen Content Marketings wirken, werden häufig auch Äpfel für Birnen, d. h. Kinderpunsch als Glühwein verkauft. Nur weil Daten visualisiert oder personifiziert werden oder man plötzlich “was mit Inhalt veröffentlicht”, ist das noch keine Geschichte. Eine Grafik macht eben noch keine Story. Und wo Storytelling anfängt und Content Marketing aufhört – da scheiden sich eben die Weihnachstgeister.
Weihnachtliches Storytelling als Kunstform
Ein gutes Praxisbeispiel für narrative Kommunikation ist der nachhaltig eingebrannte Edeka-Werbespot von vor zwei Jahren. Begleitet von trauriger Musik fingiert ein ergrauter Patriarch sein eigenes Ableben, um nach dem dritten Solo-Essen am Weihnachtsabend die Kinder und Kindeskinder an die Tafel zu bekommen. Der bombastische Erfolg der damaligen Werbung hat nachhaltige Spuren in der Kommunikation um Fest herum hinterlassen.
Mit ausgeschmücktem Feiertags-Sentimentalitäts-Rausch, destilliert in klangvollen Aussprüchen wie „Die wichtigste Zutat bist du“ (REWE), „Ohne Liebe ist es nur ein Fest“ (Edeka) – und dessen Persiflage von Lidl, „Wie weit der Weg auch ist: Es ist Weihnachten #zeitsichzuversöhnen“ (Penny) „Gemeinsam wird’s Weihhnachten.“ (OTTO) et cetera nutzen Händler Emotionen als Grundlage, um Weihnachtsstimmung zu stiften (bzw. um das Fest der Nächstenliebe zu monetarisieren).
Lässt man jetzt aber mal Materialismus-Kritik und Weihnachtsblues bei Seite, kann man der Advents-Manie in Werbung und PR auch Positives abgewinnen: Selten im Jahr hat Kommunikation die Chance, so schön zu sein und sich als angehende Kunstform zu präsentieren. Und das Erzählen von bewegenden, mitreißenden Geschichten leistet dazu sicher einen guten Beitrag.
KommunikOS und alle seine Mitglieder wünschen einen angenehmen Advent,
frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
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In der Beitragsreihe „Buzzword des Monats“ setzen sich Mitglieder unseres Vereins mit sprachlichen Phänomenen der Kommunikationsbranche auseinander. Nach Möglichkeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge werden Catchphrases und Buzzwords auseinander genommen, um ihren Inhalt zu begutachten. Unser Ziel dabei ist, sprachliche Kreativität und Vielfalt zu promoten. Wir wollen nicht nur schnöden Kulturpessimismus ausleben, sondern dem Talk von PR, Marketing und Co. etwas Spin zu mehr Personality geben.